Übersterblichkeit in der Schweiz – Versuch einer Verschleierung

Der Begriff «Übersterblichkeit» ist wichtig, denn eine Pandemie ist nur in Verbindung mit Übersterblichkeit gefährlich. Dass plötzlich viele ältere Menschen an Covid-19 sterben, macht Covid nicht gefährlich, solange es möglich ist, dass dieselben Personen ohne Pandemie z.B. an einer Grippe gestorben wären. Erst wenn mehr Personen sterben, als zu erwarten gewesen wäre, ist eine Pandemie tatsächlich gefährlich. Das ist Übersterblichkeit. Kein Wunder, war dieser Begriff sofort sehr umstritten.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Konstantin Beck, Versicherungsökonom, Universität Luzern

Die amtliche Statistik der Todesfälle pro 100’000 Einwohner (Abb. 1) zeigt Folgendes:i Die Corona-Ausschläge von 2020 sind relativ schwach, der Durchschnitt aller Todesfälle von 2010 bis 2019 ist ungefähr gleich hoch wie der Ausschlag von 2020. So gesehen müsste Übersterblichkeit für 2020 ausgeschlossen werden.

Abb. 1 Todesfälle Schweiz 1970 – 1922

Was aber ebenfalls auffällt, ist die (trotz demographischer Alterung) kontinuierlich sinkende Sterblichkeit seit 50 Jahren. Wer, wie in der Ausschnittsvergrösserung skizziert, diesen fallenden Trend berücksichtigt, stellt fest, dass die drei Pandemiejahre klare Ausreisser waren. Und: dass die Todesfälle seit 2019 nicht mehr auf den früheren (abnehmenden) Pfad zurückgefunden haben. Soweit stimmen wir mit dem Bundesamt für Statistik (BFS) überein. Berechnet man die Differenz aus effektiven und vom BFS erwarteten Todesfällen, sehen wir, dass die Übersterblichkeit bei den Jüngeren im Jahr 2022 endet, bei den Senioren im Jahr 2023 (Tab 1 & 2). Ab diesen Zeitpunkten starben weniger Menschen als vom BFS erwartet, was die negativen Werte ergibt. Ja, bei den Jüngeren übertrifft inzwischen sogar die Untersterblichkeit die vorherige Übersterblichkeit.

Tab. 1 Übersterblichkeit im Alter 0-64

Damit scheint ja alles in Butter zu sein: «Die Pandemie war schlimm, die Impfung erfolgreich, die Übersterblichkeit verschwunden.» Es bleiben aber ein paar Ungereimtheiten: Obwohl 84 bis 93 % der Senioren geimpft waren, kam es 2022 zu einem erneuten Ausschlag mit 7’223 unerwarteten Todesfällen (Tab. 2). Und auch bei den Jüngeren nahm die Übersterblichkeit erst mit Einsetzen der Impfung Fahrt auf. Wirklich stossend ist jedoch, dass uns das Amt regelrecht hinters Licht führt. Das korrekte BFS-Communiqué müsste lauten:
Die von uns ausgewiesene Übersterblichkeit geht nur darum zurück, weil sich die Sterbesituation im Allgemeinen deutlich verschlechtert hat und wir das in unserer Berechnung bereits vorweggenommen haben.

In Tab. 1 sehen wir, dass das Amt von 2010 bis 2020 einen jährlichen Rückgang der Todesfälle um 1,3 % erwartet. Doch dann prognostiziert das BFS für 2022 eine unglaubliche Zunahme der Todesfälle von 6,3 %. Das gab es in jüngster Vergangenheit noch nie. Aber natürlich sinkt die Übersterblichkeit, wenn ich mit einem Schulterzucken eine dramatische Mortalitätszunahme in Kauf nehme. Wird dagegen der Trend aus Abb. 1 fortgeschrieben, so bleibt auch die Übersterblichkeit erhalten (Tab. 1, «Übersterblichkeit KoB»).

Tab. 2 Übersterblichkeit im Alter 65+

Das sehe nicht nur ich so. Auch die OECD ignoriert inzwischen die Übersterblichkeiten des BAG und berechnet eigene Grössen. Statt einer Untersterblichkeit von -729 spricht diese von einer (hochgerechneten) Übersterblichkeit von 3’410. Zwischen BFS und OECD liegen Welten. Kurz: Statt einer überwundenen Pandemie sehen wir hartnäckige Übersterblichkeit, wie das bei anderen Pandemien nie der Fall gewesen ist.


i Im Folgenden wird eher intuitiv und grafisch argumentiert. Wer sich für die genauere, wissenschaftliche Argumentation interessiert, der sei auf die entsprechende Vorlesung verwiesen:

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