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Leben bis zuletzt – in Würde altern, ohne sich selbst aufzugeben

Älter werden kann eine erfüllende, aber auch herausfordernde Zeit sein. Viele Menschen fürchten, anderen zur Last zu fallen, wenn sie körperliche Gebrechen entwickeln oder Pflege benötigen. Die Frage, wie «in Würde altern» konkret aussieht, ist eng verbunden mit der Haltung zum Sterben und – für gläubige Menschen – mit dem Vertrauen, dass das Leben in Gottes Hand liegt.

Jan Leitz unterhielt sich darüber mit Pfarrer Wilfried Bührer, ehemaliger Präsident des Kirchenrats TG

Autonomie und Abhängigkeit

Veröffentlichungen der Ev. Landeskirche Thurgau wie «Den Weg zu Ende gehen» sowie Pfr. Wilfried Bührer weisen darauf hin, dass Würde nicht von Selbstständigkeit abhängt. Ein Baby, das gewickelt wird, gilt ja auch nicht als «unwürdig». Genauso dürfen sich Senioren angenommen fühlen, wenn sie Pflege benötigen. Wichtig ist ein Wir-Gefühl: Idealerweise sorgt Familie oder eine Kirchengemeinde dafür, dass Betroffene sich aufgehoben wissen.

Glaube als Halt

Dietrich Bonhoeffer sagte: «Über dem Menschen gibt es einen Gott.» Dies verdeutlicht, dass das Leben nicht allein in unserer Regie steht. Pfr. Bührer bestätigt: Wer sein Dasein als Gabe Gottes begreift, fühlt sich weniger gedrängt, selbst über den Todeszeitpunkt zu entscheiden. Der Glaube kann Suizidgedanken nicht verbieten, doch er bietet Zuspruch:
Wir sind nicht nur für uns selbst da, sondern auch für Gott. Anstatt Verurteilung geht es um Begleitung – niemand sollte sich schuldig fühlen, weil er schwach wird.

Was heisst «in Würde altern»?

Häufig wird von «Unwürdigkeit» gesprochen, wenn Pflegebedürftigkeit eintritt. Doch entscheidend sind Respekt und liebevolle Begleitung. In einer hoch technisierten Gesellschaft verlängert sich das Leben oft stark. Das führt zu Dilemmas: Wann «soll» man sich für den Tod entscheiden, bevor Demenz oder grosse Pflegeabhängigkeit eintreten? Bührer warnt vor dem Trugschluss «selbst bestimmen zu können, wann sterben»: Der Tod ist sicher, man kann höchstens eine Abkürzung nehme.

Tiefe Fragen – keine simplen Antworten

Das Thema Alterssuizid zeigt, wie komplex die letzte Lebensphase ist. Die Kirche betont, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht über allem stehen sollte. Aus christlicher Sicht ist das Leben ein Geschenk Gottes. Zugleich bleibt Verständnis für Menschen in grosser Not: Sie sollten Unterstützung finden, statt ein Gefühl, sich verteidigen zu müssen, weil sie noch leben wollen.

Gemeinschaft und Angehörige

Nicht nur Senioren selbst, sondern auch Jüngere sind gefragt. Viele Ältere fürchten, sie seien eine «Belastung». Kirchliche Angebote helfen, indem sie signalisieren: «Du bist wertvoll und nicht allein.» Auch pflegende Angehörige brauchen Rückhalt, damit sie nicht selbst überlastet werden. Gesellschaftlich muss Altern als wertvoller Lebensabschnitt anerkannt werden.

Den Weg gemeinsam zu Ende gehen

Letztlich zeigt sich, dass «in Würde altern» eng verknüpft ist mit dem Miteinander von Alt und Jung, mit der Bereitschaft, füreinander einzustehen. Gerade wenn Senioren «lebenssatt» sind oder sich als Belastung sehen, wäre ein intensiver Austausch notwendig – sei es auf seelsorgerischer, familiärer oder gesellschaftlicher Ebene.
Christlich gesehen heisst das, das Leben als Geschenk anzunehmen und das Sterben mit Vertrauen zu betrachten: Wie Bonhoeffer sagt: «Dass es über dem Menschen einen Gott gibt», kann eine grosse Entlastung sein. Es ermutigt, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen: geliebt, wertvoll, auch und vor allem dann, wenn er zum Ende seines Weges kommt.
Die Frage, was Pfr. Bührer älteren und auch jüngeren Personen auf den Weg geben möchte, beantwortete er mit Römer 12,12: «Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.»

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