Remigration

Eine Rezension zu Martin Sellners Buch aus EDU-Sicht

Pfr. Jann Flütsch des. Geschäftsführer EDU Kanton Zürich

Der Österreicher Martin Sellner hat in der Schweiz und in Deutschland Einreiseverbot.
Er gilt als rechtsextrem. In erster Linie hat dieses Urteil mit dem Begriff «Remigration» zu tun. Ein an sich harmloses Wort, das einfach die Umkehrung von «Migration» bedeutet, das aber gar nicht mehr so harmlos ist, wenn es von Leuten aus dem rechten politischen Spektrum verwendet wird. Dieser Artikel versucht, den Begriff «Remigration» im Verständnis Martin Sellners zu erklären und darzulegen, warum das Konzept «Remigration» aus Sicht der EDU abzulehnen ist.

Was positiv gewürdigt werden kann, ist, dass Martin Sellner sich die Mühe macht, einen Vorschlag zu bringen, wie auf eine politische Herausforderung reagiert werden könnte. Auch die EDU will eigene Vorstellungen und Ideen in die politische Diskussion einbringen. Von dem her soll man sich auch vor Gedanken von Personen, die in den Leitmedien schlecht wegkommen und von der Polizei beobachtet werden, nicht von vornherein verschliessen. Dennoch muss in diesem Fall gesagt werden, dass die EDU die öffentlich geäusserten Bedenken gegen Sellners Ideen in weiten Teilen teilt.

Mit «Remigration» meint Sellner, dass die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland eingewanderten Menschen wieder zurückgeführt werden sollten. Die Politik, die bis jetzt einwanderungsfreundlich war, solle geändert werden zu einer «identitären» Politik. Damit ist eine Politik gemeint, die die kulturelle Einheitlichkeit der Bevölkerung zum Ziel hat. Sellner macht das Deutsch-Sein und die Berechtigung zum Leben in Deutschland nicht an der Staatsbürgerschaft fest, sondern an einer Kultur. Wer nicht «assimiliert» sei, solle das Land wieder verlassen. Mit «assimiliert» meint er, dass die Menschen nebst hervorragenden Deutschkenntnissen und tadellosem Leumund auch eine deutsche Gesinnung angenommen haben müssen. Dass sie sich völlig loyal gegenüber Deutschland verhalten sollen und Loyalitäten zu Herkunftsstaaten oder auch nur schon Heimweh nicht mehr sein dürfen.

Gegen die Forderung nach Respektierung der hiesigen Gesetze und nach einem Bemühen um Erwerb von ausreichenden Kenntnissen der Landessprache hat die EDU natürlich nichts einzuwenden. Auch entsprechende Konsequenzen bei Missachtung der Gesetze befürwortet die EDU. Die Forderung nach einer spezifischen Gesinnung ist aber klar abzulehnen. Als christliche Partei ist sich die EDU sehr bewusst, welch problematische Folgen eine Gesinnungsprüfung haben kann. Schliesslich leiden weltweit Millionen von Christen darunter, dass sie aufgrund ihrer Gesinnung diskriminiert und verfolgt werden. Die Gesinnung darf nie Grundlage sein für das Erlangen oder das Verlieren von Rechten. Aber genau dies fordert Sellner. Er geht so weit, dass er einen «Assimilationsmonitor» vorschlägt. Ein Überwachungssystem für alle Personen mit Migrationshintergrund auf deren Gesinnung hin. Die EDU erinnert an den Fichenskandal in der Schweiz und an zahllose ausländische Beispiele von staatlicher Überwachung der Gesinnung der Bevölkerung. So etwas passt in keinen Rechtsstaat.

Überhaupt sind die Grundlagen von Sellners Vorschlag abzulehnen. Es sind nämlich vom Grundgedanken her völkische Ansichten, wie sie vor hundert Jahren bereits im Überfluss geäussert wurden. Sellner streitet zwar ab, dass es ihm um Rassefragen gehe, aber den Unterschied zwischen reiner Gesinnung und reinem Blut deutlich zu machen, gelingt ihm nicht. Er fordert, wie schon die völkischen Bewegungen anfangs 20. Jahrhundert, ein Deutschland für die «Deutschen». Die oberste Maxime lautet auch bei Sellner ein Ja zum deutschen Volk. Im Dritten Reich bedeutete dies, dass der höchste Gott der Staat resp. die Partei resp. der Führer war. Als christliche Partei bekennt die EDU jedoch den Dreieinigen Gott als höchsten Gott. Die EDU wäre somit in einem Staat, wie er Sellner vorschwebt, existenziell bedroht. Beteuerungen von Sellner, die Religionsfreiheit oder die Meinungsäusserungsfreiheit zu respektieren, überzeugen angesichts seiner Ideen eines «Assimilationsmonitors» nicht.

Was Sellner korrekt benennt ist die Möglichkeit und das Recht eines jeden Staates, seine Einwanderungsgesetze selbst zu gestalten. Es ist in der Tat rechtens und auch nicht unmoralisch, wenn ein Staat die Zuwanderung entsprechend den eigenen Bedürfnissen regelt. In dieser Hinsicht geht die EDU einig mit ihm. Es ist auch nicht per se ein Unrecht, wenn Asylverfahren im Ausland bearbeitet werden. Die Schweiz kannte bis zur letzten Asylgesetzrevision das Botschaftsasyl, das zu einem gewissen Grad verglichen werden kann mit den «Ankerzentren», die Sellner vorschlägt.

Was in diesem Zusammenhang allerdings bedauerlich ist, ist der Umstand, dass im ganzen Buch von Sellner das Recht auf Asyl nie deutlich benannt wird. Überhaupt verzichtet Sellner in auffallender Weise darauf, auf mögliche Rechte der Einwanderer zu sprechen zu kommen. Das Recht, Schutz zu suchen und zu finden, scheint ihm keine Erwähnung wert.
Und das Recht, als Mensch mit menschlichen Bedürfnissen, wie zum Beispiel dem Recht auf und Bedürfnis nach Familie, vom Gaststaat geachtet zu werden, scheint bei Sellner nicht vorzukommen. Er beschränkt sich vollständig auf die Rechte des deutschen Staates. Ein Abwägen zwischen konkurrierenden Grundrechten ist bei seinen Überlegungen nicht zu beobachten. Die EDU hingegen bezeugt den Gott, der den Menschen sieht und ihn mit seinen menschlichen Bedürfnissen ernst nimmt.

Aufgrund dieses fehlenden Fokus auf die Menschen kommt Sellner auf die Idee, ausserhalb Europas sogenannte «Musterstädte» anzulegen. Das sind Städte, wo die aktuell in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund hingebracht werden sollen, damit sie dann dort und nicht mehr in Deutschland leben. Der Vorwurf, dass dies gleichbedeutend sei mit Konzentrationslagern aus der Nazizeit ist zwar nicht ganz korrekt, da Sellner betont, die Menschen dürften diese «Musterstädte» jederzeit wieder verlassen. Der Vorwurf ist aber dennoch in weiten Teilen angebracht.

Denn erstens wäre das Verlassen der «Musterstadt» nur in Richtung der vorherigen Heimat möglich, wobei mit Heimat nicht Deutschland gemeint ist, sondern im Extremfall ein Land, das diesen Menschen völlig unbekannt ist, weil sie Zeit ihres Lebens immer in Deutschland gelebt haben. Zweitens würde die Ausreise aus Deutschland hin zu einer solchen «Musterstadt» nur unter erheblichem Druck geschehen, von Freiwilligkeit zu reden wäre zynisch. Drittens ist der Grundgedanke der «Musterstadt» durchaus derselbe wie der Gedanke hinter den Konzentrationslagern der Nazis: es geht darum, dass man unliebsame Elemente aus der Gesellschaft ausschliessen will. Damals waren dies Juden, Pfarrer, Schwule, Fahrende, Andersdenkende und viele weitere mehr; bei Sellner sind es Menschen, die nicht völlig in die deutsche Kultur assimiliert sind. Viertens ist Sellners Idee insofern vergleichbar mit den Ideen der Nazis, als auch er es nicht bedeutsam findet, ob jemand die deutsche Staatsbürgerschaft hat oder nicht. Er bemüht sich vielmehr darum, aufzuzeigen, auf welche Arten man eingebürgerten «Fremden» die Staatsbürgerschaft legal wieder aberkennen kann. Er gleicht darin den Nazis, die aufgrund von Rassenregeln gesetzlich festlegen wollten, wer in welchem Ausmass nicht-arisch und darum der Staatsbürgerschaft unwürdig sei.

Dass Sellner grundsätzlich allen Menschen, die auf dem Landweg nach Deutschland gelangen, das Recht, einen Antrag auf Asyl zu stellen, abspricht und er darum konsequente Push-backs fordert, erstaunt nach den obigen Ausführungen nicht mehr. Denn für die Geschichten der Menschen interessiert er sich nicht. Nur so ist auch der irritierende Fakt zu erklären, dass Sellner so gut wie keinen Unterschied macht zwischen Flüchtlingen und Menschen, die aus anderen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Die Frage, warum Menschen mit ausländischem Hintergrund in Deutschland leben, interessiert ihn nicht. Auch stellt er die Frage nicht, inwiefern denn die zugewanderten Menschen Deutschland menschlich bereichern. Er verneint sogar, dass überhaupt von menschlicher Bereicherung gesprochen werden könne. Er sieht nur die Last, die diese Massen an Fremden für Deutschland darstellen.

Die EDU könnte einer solchen kategorischen Forderung nach Push-backs niemals zustimmen. Die Schweizer Geschichte während des Zweiten Weltkriegs hat deutlich gezeigt, in welch grosse Schuld man geraten kann, wenn der Einzelfall nicht mehr geprüft werden darf. Ebenso kann die EDU niemals solche Aussagen gutheissen, die das Hiersein von Menschen als reine Belastung beschreiben. Im christlichen Verständnis hat Gott den Menschen die Erde geliehen, nicht geschenkt. Daraus folgt, dass das Recht eines Volkes auf ein Land immer nur relativ gilt. Absolut hingegen gilt das Recht der Menschen, zu leben, solange es Gott gefällt. Ihr Hiersein so abwertend darzustellen ist lieblos und angesichts der Liebe Gottes zu allen Menschen völlig unangebracht.

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