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Parlamentswahlen sind Partei- und nicht Personen-Wahlen

Als Maria Rita Marty 2019 lediglich 5 Tage nach ihrem Amtsantritt nach ihrer Wahl als EDU-Kantonsrätin zur SVP wechselte, war die Enttäuschung bei uns gross, war sie doch erst 2017 für Hans Peter Häring nachgerückt. Nach ihrer Abwahl 2023 wiederholte sich die Geschichte durch Isabel Garcia, welche von der GLP zur FDP überlief – allerdings nur 11 Tage nach ihrer Wahl.

Jan Leitz stv. Geschäftsführer EDU Kanton Zürich, Dübendorf

Immerhin wartete Maria Rita Marty bis nach dem Amtsantritt. Nicht so Isabel Garcia. Der Parteiwechsel nur 11 Tage nach der Wahl und somit exakt nach Ablauf der 10-tägigen Beschwerdefrist macht die ganze Angelegenheit doch eher suspekt und verleiht der Affäre ein «Gschmäkle»: Nämlich, dass der Gesinnungswandel der Protagonistin schon vor der Wahl stattgefunden hat und sie kaltblütig aufgrund ihrer Listenposition damit rechnete, die Wiederwahl so zu schaffen.
Aber genau aufgrund diesen Vorgehens muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, die Wähler der GLP bewusst getäuscht zu haben. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Isabel Garcia nach ihrer Wiederwahl eine Gewissenskrise durchlief oder irgendwelche Zerwürfnisse zwischen ihr und der Parteispitze sie zu einem Umdenken bewegte. Solche Umstände wurden indes auch gar nie vorgetragen.

Bild NZZ 22.05.2024

Wieso die Empörung, die Wähler haben doch Isabel Garcia gewählt?!

Die Frage ist auf den ersten Blick berechtigt. Wenn man aber einen Blick auf das Wahlsystem wirft, versteht man schnell, worum es geht: Anders als bei einer Regierungsratswahl erfolgt die Parlamentswahl nach dem Proporz-System: Die Stärke der Partei bestimmt dabei die Anzahl der zu gewinnenden Sitze. Erst danach geht es um den Kandidaten – wobei zumeist die Kandidaten auf den vorderen Listen-Position die meisten Stimmen holen. Ins Parlament gewählt wird also in erster Linie, wer bei der richtigen Partei die richtige Listen-Position hat. Das lässt sich auch ganz einfach nachvollziehen, wenn man bei den Wahlen die vorderen Listenplätze mit den hinteren vergleicht: Die Spitzenplätze werden deutlich häufiger kumuliert als die hinteren.
Es ist daher fair zu sagen, dass der Stimmbürger primär seine Partei im Parlament vertreten haben will und erst dann eine bestimmte Person. Parteiwechsler begründeten in der Vergangenheit ihren Anspruch auf «ihren» Parlamentssitz mit dem sogenannten Instruktionsverbot. Nach diesem sind gewählte Parlamentarier als unabhängig zu betrachten. Es wäre somit Verboten, dass eine Partei einem Kandidaten vorschreibt, wie er im Falle seiner Wahl abzustimmen hat. Sämtliche solche Instruktionen sind unzulässig und ein Parlamentarier kann somit sein Amt unabhängig ausüben – was grundsätzlich ja auch richtig ist.
Aus diesem Instruktionsverbot wird dann auch abgeleitet, dass es einem gewählten Parlamentarier entsprechend erlaubt sein muss, seine Partei während einer Legislatur zu wechseln. Auch dieser Ansicht kann grundsätzlich gefolgt werden. Anders verhält es sich jedoch in Fällen wie der Causa Garcia. Denn: Der Bürger hat eben auch nach dem Grundsatz von Treu & Glauben einen Anspruch darauf, dass seine Stimme dort ankommt, wo er sie auch haben will – bei seiner Partei. Denn die allermeisten Wähler werfen am Wahltag eine Partei-Liste ein – weil damit ihre Stimme «mehr Gewicht» hat, da die Stimme sowohl eine Partei- als auch eine Personen-Stimme ist. Nur ein geringer Anteil der Wähler wirft eine neutrale Liste ein und will so spezifische Personen wählen.

Änderung des Gesetzes nötig?

Die EDU Kanton Zürich hat aufgrund dieses offensichtlich erscheinenden Betrugs am Wähler folgerichtig einen Vorstoss lanciert und wollte eine Sperrfrist im Gesetz erwirken, während derer ein Parteiwechsel ausgeschlossen wäre.
Gleichzeitig haben fünf Parlamentarier – darunter unser Dielsdorfer Kantonsrat Hans Egli – den Rechtsweg beschritten. Der Rechtsweg war erfolgreich und das Bundesgericht gibt der EDU Recht und ändert in seinem Entscheid vom 22. Mai 2024 anscheinend seine aus dem Jahr 2009 stammende Praxis aus einem ähnlich gelegenen Fall. Nun obliegt es dem Zürcher Verwaltungsgericht, Recht zu sprechen und die Wahl von Isabel Garcia abzuerkennen. Spätestens dann wird sich das Zürcher Parlament wieder der Thematik des Parteienwechsels annehmen und die Anpassung der entsprechenden Gesetze veranlassen müssen.

Die Demokratie ist wichtiger als «positive Nebeneffekte»

Der Gesinnungswandel der Protagonistin hatte im konkreten Fall zwar einen positiven Nebeneffekt: Durch den Parteienwechsel verlor die von den Bürgerlichen oft (zu recht) kritisierte Klimaallianz ihre Mehrheit. Die EDU hätte also eigentlich auch auf einen anderen Fall warten können, um ihr Ansinnen zu verfolgen, und mit diesem äusserst positiven Nebeneffekt leben können. Das wäre jedoch schlicht nicht ehrlich. In einer solchen Sachlage zu schweigen, würde bedeuten, solches Verhalten gutzuheissen. Selbst wenn man von diesen Umständen politisch profitieren könnte, ist die Demokratie doch um einiges wichtiger. Wie vorhin erklärt wollte der Wähler hier nun mal eine GLP-Kandidatin im Parlament haben. Es ist absolut richtig, dass hier unsere Volksvertreter gehandelt haben und sich auch für die andere Parlamentsseite einsetzen.
Unabhängig, wie es in dieser Sache weitergeht: Wir wünschen uns, dass sich Partei-Kandidaten künftig integer verhalten werden. Das eigene Ziel einer Wahl durch Verschleierung der wahren Absichten unter Inkaufnahme eines Wählerbetrugs höher zu gewichten als den Wählerwillen, war selten erfolgsversprechend. Unabhängig davon wie Gerichte und Parlamente in dieser Sache verfahren werden: Wahltag ist Zahltag – und das wird Isabel Garcia hoffentlich im Frühjahr 2027 auch merken.

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